Kassel trägt den inoffiziellen Titel „Waschbär-Hauptstadt Deutschlands“ – ist der Waschbär also eine nordhessische „Spezialität“? Schon längst nicht mehr! Die Tiere haben sich in den letzten Jahrzehnten stetig ausgebreitet, auch in den Wäldern rund um Niedernhausen sind sie mittlerweile anzutreffen. Das Problem ist, der Waschbär bleibt nicht im Wald! Immer wieder bekommen wir bei der Gemeindeverwaltung Berichte und Anfragen von Menschen in Niedernhausen, in deren Garten oder sogar auf deren Dachboden sich Waschbären häuslich niedergelassen haben. In mindestens einem Fall hat sich ein Waschbär sogar durch die Katzenklappe Zugang zu einem Haus verschafft. Besonders betroffen sind nach derzeitigem Stand unserer Kenntnis Wohngebiete in Waldrandlage. Wir möchten im Folgenden einige Details zu diesem Tier, seiner Lebensweise und seinem oft problematischen Verhältnis zum Menschen geben.
Einen halben bis einen Meter lang und bis zu 15 Kilogramm schwer, charakteristische schwarze Gesichtsmaske und buschiger, geringelter Schwanz: Der Waschbär (Procyon lotor) ist ein unverwechselbares Tier. Seinen deutschen Namen hat er von seiner Angewohnheit, sein Futter vor dem Fressen in Wasser einzutunken. Als sehr bewegliches und anpassungsfähiges Tier taucht der Waschbär in vielen Mythen amerikanischer Ureinwohner als trickreiche Schelmenfigur auf.
Waschbären zählen zur Familie der Kleinbären, sie kommen in drei Unterarten in Nord- und Südamerika vor, und zwar vom südlichen Kanada bis nach Argentinien. Aber wie kommt der „Amerikaner“ zu uns? Waschbären sind in Deutschland so genannte Neozoen, also Organismen, die hier nicht ursprünglich verbreitet sind und direkt oder indirekt durch den Menschen heimisch gemacht wurden. Ein weiteres sehr bekanntes Beispiel für ein Neozoon ist die Nilgans. In Deutschland kommen Waschbären seit 1934 vor, in diesem Jahr wurden einige Tiere in der Nähe des Edersees ausgesetzt. In Nordhessen haben sich Waschbären seither stetig vermehrt.
Mittlerweile kommen Waschbären in ganz Deutschland vor, die Bestandszahlen haben steigende Tendenz. Genaue Bestandsinformationen gibt es nicht, aber allein in Hessen wurden von Jägern im Jagdjahr 2022/23 nach der Statistik des Deutschen Jagdverbandes 30.427 Waschbären erlegt. Selbst eine intensive Bejagung konnte den Bestand an Waschbären bis jetzt jedoch nicht dauerhaft verkleinern.
Ihr großes Verbreitungsgebiet und erfolgreiche „Einwanderung“ in andere Kontinente weisen schon darauf hin, dass Waschbären sich an eine Vielzahl von unterschiedlichen Lebensräumen anpassen können. In Mitteleuropa sind die Tiere vor allem in Laub- und Mischwäldern anzutreffen, gerne halten sie sich in der Nähe von Gewässern auf. Waschbären sind Allesfresser, Insekten, Frösche, Vögel und Eier stehen auf ihrem Speiseplan, aber je nach Jahreszeit auch pflanzliche Nahrung. Weil sie nachtaktiv sind, bekommt man Waschbären eher selten tatsächlich zu Gesicht. Der Kleinbär mit der schwarzen Gesichtsmaske ist allerdings auch oft Kulturfolger und treibt sich auf Futtersuche in Wohngebieten herum. Hier liegt ganz offensichtlich Konfliktpotential: Waschbären verursachen mittlerweile große Schäden in Wohngebieten. Auch für den Schutz bedrohter Arten können sie ein Problem darstellen, weil sie unter anderem Amphibien und Vogeleier verzehren. Seit 2016 steht der Waschbär daher auf der EU-weiten Liste von „invasiven“ Arten, deren Ausweitung nach Möglichkeit begrenzt werden sollte.
(Dieser Waschbär geriet im Niedernhausener Gemeindewald in die "Foto-Falle" einer Wildkamera. Bild: Martin Heinen)
Bei der Futtersuche kommt dem Waschbären ein besonderer Umstand zur Hilfe: An jeder Vorderpfote haben die Tiere eine Zehe, die durch ihre Form und Position ähnlich dem menschlichen Daumen funktioniert. Waschbären sind nicht nur allgemein sehr geschickt, sie können mit ihrem „Pseudo-Daumen“ auch Gegenstände greifen und zum Beispiel nicht gesicherte Fenster, Katzenklappen, oder die Deckel von Mülltonnen öffnen. Auch durch sehr kleine Öffnungen passen flinke Waschbären hindurch. Die Tiere können sehr gut klettern, so erreichen sie zum Beispiel über entsprechend hohe Bäume Hausdächer und damit unter Umständen Dachböden. Besonders ärgerlich: Auf Dachböden legen Waschbären oft so genannte Latrinen an, das heißt, mehrere Tiere legen ihren Kot über einen längeren Zeitraum an derselben Stelle ab.
Diverse Krankheiten und Parasiten können von Waschbären übertragen werden. So sind die Kleinbären zum Beispiel Wirte für Flöhe, Läuse und Zecken. Ebenfalls können sie Tollwut, Staupe und andere Krankheiten an Menschen und Haustiere weitergeben. Durch den Kot der Waschbären kann eine bestimmte Art von Spulwürmern übertragen werden, die Ausscheidungen der Tiere sollten daher nur mit Handschuhen und Mund/ Nasenschutz entfernt werden (Quelle: Umweltbundesamt).
Aus dieser Lage ergeben sich einige einfache Richtlinien, um ungebetene Besuche von Waschbären zu verhindern. Ganz wichtig ist zunächst festzuhalten, dass man Waschbären auf keinen Fall anlocken oder füttern sollte! Auch auf eine Fütterung von Katzen oder Igeln sollte man bei der Anwesenheit von Waschbären eventuell besser verzichten. Waschbären sind keine bedrohte Art, sie finden in der Natur genug Futter und sind nicht auf den Menschen angewiesen! Gefütterte Tiere schließen sich näher an den Menschen an, verlieren die Angst vor Menschen an und verursachen bald größere Schäden.
Zugang zu Dachböden, Kellern, Garagen oder Gartenschuppen sollte man den Waschbären durch konsequentes Verschließen aller Öffnungen verwehren. Fallrohre, Zaunpfähle oder ähnliche potentielle „Kletterhilfen“ können durch spezielle Schutzmanschetten aus glattem Blech gesichert werden.
Wer hohe Bäume auf seinem Grundstück hat, sollte darauf achten, diese regelmäßig zurückzuschneiden, so dass Äste nicht bis an Dächer reichen oder sogar über Dächer hängen – geradezu eine Einladung für Waschbären auf der Suche nach Nahrung und Unterschlupf!
Eine gute Nachricht: „Übergriffe“ von Waschbären auf Mülltonnen, die in anderen Kommunen oft vorkommen, sind aus Niedernhausen noch nicht bekannt. Daher wurden auch noch keine Maßnahmen unternommen, Abfallbehälter mit speziellen Schlössern zu sichern.
Zusätzliche Informationen zum Thema Waschbär gibt es bei der Unteren Naturschutzbehörde des Rheingau-Taunus-Kreises.
(Bilder: Martin Heinen)