Sommer-Serie

Sommer-Serie "Um die vier Ecken" - Teil 3: Westen

„Um die vier Ecken“

Wo fängt Niedernhausen an, wo hört die Gemeinde wieder auf? Ausgehend von Google Maps, sind wir für unsere kleine Sommer-Serie zum nördlichsten, südlichsten, westlichsten und östlichsten Punkt unserer Gemeinde „gereist“ und haben uns dort umgesehen. Erzählen uns diese zumindest auf der Karte markanten Punkte etwas über unsere Heimat? Gibt es dort besondere Spuren der Geschichte Niedernhausens und dessen, was unsere Gemeinde ausmacht?



(Der westlichste Punkt Niedernhausens im Detail. Bild: Google)


Westen: In der Siedlung „Wildpark“ in Engenhahn


Der westlichste Punkt der Gemeinde Niedernhausen ist wieder eine ganz unscheinbare Stelle, markiert durch die Ecke Seelbacher Weg und Zeisigweg im Ortsteil Engenhahn. Ganz genau gesagt, liegt diese Stelle im „Wildpark“, dem Neubaugebiet oberhalb von Engenhahn, dass auf der Karte durch seine regelmäßige Form mit schnurgeraden Straßenzügen ins Auge sticht. Die Siedlung liegt etwa 500 Meter Luftlinie vom eigentlichen Dorf Engenhahn entfernt zwischen bewaldeten Hügeln. Große Grundstücke mit altem Baumbestand ergeben das Bild eines erholsamen Fleckchens Erde. Wer neu in Niedernhausen ist, oder sich beim Planen einer Wanderung oder Fahrradtour die Karte anschaut, wundert sich vielleicht, dass hier fern vom eigentlichen Dorf eine große Siedlung als „Insel“ im Wald existiert. Warum es den „Wildpark“ gibt, und warum er so heißt, führt wieder einmal in die Geschichte unserer Region zurück – und zu einem vergessenen Land, das es nicht mehr gibt…



(Idyllisch und ruhig am Waldrand: Unser westlichster Punkt.)

Wir müssen dazu den historischen Zusammenhang kurz erklären: Seit dem ersten Koalitionskrieg (1792-1797) expandierte das revolutionäre Frankreich in das Gebiet der damals über 30 unabhängigen deutschen Kleinstaaten. Einige dieser Staaten wurden, vereinfacht ausgedrückt, „geschluckt“. Andere wurden ab 1803 nach den Vorstellungen des französischen Kaisers Napoleon I. umgestaltet. Das Adelshaus von Nassau existierte 1803 in drei Zweigen (einer davon ist heute das Königshaus in den Niederlanden). Aus einem Teil der von den Nassauern gehaltenen Territorien entstand „von Napoleons Gnaden“ das Herzogtum Nassau mit der Hauptstadt Wiesbaden. Die Herzogliche Residenz war nicht nur eine elegante Kurstadt, direkt vor der herrschaftlichen Haustür luden Rheingau und Taunus zu Vergnügungen an der frischen Luft.

Die Jagd gehörte seit jeher zu den Lieblingsbeschäftigungen gekrönter Häupter und war in den deutschen Landen auch ein Privileg des Adels. Der gemeine Mann hatte vom Wild bei Strafe die Finger zu lassen, auch wenn Hasen und Hirsche seine Felder verwüsteten. Ein besonders begeisterter Jäger war Herzog Wilhelm I. von Nassau (regierte 1816- 1839). Er ist heute vor allem als Bauherr bekannt, dem Wiesbaden das Stadtschloss (heute Sitz des hessischen Landtages) verdankt. Herzog Wilhelm verband seine beiden großen Leidenschaften beim Bau des Jagdschlosses auf der Platte, erbaut ab 1826 im so genannten „palladianischen Stil“ durch den Hofbaumeister Friedrich Ludwig Schrumpf. Leider wurde das Schloss im 2. Weltkrieg durch Bombentreffer schwer beschädigt, aber die gesicherten Außenmauern mit moderner Dachkonstruktion lassen die frühere Pracht noch erahnen. Das Schloss lag im Herzen eines ausgedehnten herzoglichen Jagdreviers zwischen Wiesbaden und dem heutigen Taunusstein. Engenhahn befand sich am nördlichen Rand dieses herrschaftlichen Lieblingsreviers. Bereits 1866 hatte das lustige Jägerleben der nassauischen Herzöge jedoch ein Ende. Im Krieg zwischen Österreich und Preußen hatten sie sich neben Österreich auf der Verliererseite wiedergefunden, ihr Land wurde von Preußen annektiert und verschwand von der Landkarte, ein „verlorenes Herzogtum.“



(Die Ruine des herzoglichen Jagdschlosses auf der "Platte" zwischen Niedernhausen und Wiesbaden.)

Das Jagdrevier zwischen Platte und Hoher Kanzel ging zum Teil in den Besitz der umliegenden Kommunen über. So war es auch mit dem „Saupark“ an der „Trompeterstraße“. Als „Saupark“ bezeichnete man einen eingezäunten Bezirk innerhalb des Jagdreviers, in dem Hochwild (vor allem Hirsche und Wildschweine) besonders geschützt wurde. Heute würde man vielleicht von eine „Wildruhezone“ sprechen. Ein großer Teil dieses Gebietes ist heute noch Waldgebiet, das forstwirtschaftlich und jagdlich genutzt wird. Der an Engenhahn angrenzende Teil des „Sauparks“ wurde nach dem Ersten Weltkrieg von einem Holzhändler abgeholzt und sollte dann von den Engenhahnern landwirtschaftlich genutzt werden. Das erwies sich als schwierig, da die Einzäunungen des ehemaligen Jagdgebietes nicht mehr bestanden und die immer noch zahlreichen Wildschweine Äcker und Gärten regelmäßig verwüsteten. Auch die vielfach noch im Boden steckenden Baumwurzeln machten den Bauern das Leben schwer. Holzkohle wurde im ehemaligen „Saupark“ gebrannt, auch kleinere Mengen Eisenerz wurden dort gefunden. Die Bewirtschaftung lohnte sich insgesamt aber nicht, und Ende der 1940er Jahre war der „Saupark“ größtenteils Ödland. Diese Details berichtet Willi Schwarz in seiner sehr lesenswerten Engenhahner Dorfchronik, gestützt auf Erinnerungen alteingesessener Engenhahner, Dokumente der Gemeinde, und handschriftliche Aufzeichnungen.



(Engenhahn auf der Karte des Großherzogtums Nassau von 1819. Bild: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).)

Nach 1945 stiegen die Bevölkerungszahlen der kleinen Dorfes Engenhahn. Nicht nur im Zuge des Krieges aus ihrer Heimat vertrieben Menschen kamen als Geflüchtete ins Dorf, auch Menschen aus Frankfurt und Wiesbaden lockte die gute Luft und idyllische Lage nach Engenhahn. Mehr und mehr Grundstücke im „Saupark“ wurden an Zugezogene verkauft, und mit der Zeit bildete sich ein neues Wohngebiet. Die alte Bezeichnung „Saupark“ war den neuen Bewohnern und der Gemeinde Engenhahn wahrscheinlich irgendwann doch zu urwüchsig, schließlich setzte sich die deutlich elegantere Bezeichnung „Wildpark“ durch…

Die westlichste Ecke Niedernhausens liegt an einer der drei Hauptachsen, die den Wildpark längs durchschneiden. Eine weitere dieser Längsachsen heißt „Trompeterstraße“. Die asphaltierte Straße verläuft entlang einer sehr alten Route, die schon zur Zeit der Römer begangen wurde und zu den so genannten „Altstraßen“ im Taunus gehört. Die Trompeterstraße führt in ihrer Verlängerung als Waldweg bis zum Jagdschloss Platte und weiter nach Wiesbaden. Der Weg ist gut ausgebaut und eignet sich perfekt für eine Wanderung oder Radtour – auch der hessische Radfernweg R6 führt hier entlang und weiter über die Platte in Richtung Wiesbaden. Der Name „Trompeterstraße“ soll auf die herrschaftlichen Post- und Meldereiter zurück gehen, die zwischen den nassauischen Residenzen Idstein und Wiesbaden unterwegs waren. Diese waren mit einer Trompete als „Signalmittel“ ausgerüstet.  



(Fortsetzung der "Trompeterstraße" als Waldweg von Engenhahn in Richtung Wiesbaden.)

Auf der dem westlichsten Punkt gegenüberliegenden Straßenseite beginnt der Wald. Es sieht aus, als wäre hier für lange Zeit das Ende der Zivilisation und der Beginn der Wildnis… Tatsächlich sind es nur 600 Meter Entfernung, in Luftlinie, bis zu den ersten Häusern von Taunusstein-Neuhof. Dem Thema Wald widmen wir uns im nächsten, letzten Teil der Sommer-Serie!

(Quellenangabe: Die Informationen zur Geschichte des Engenhahner „Wildparks“ stammen aus der „Dorfchronik Engenhahn“ von Willi Schwarz, Band 1, Niedernhausen-Engenhahn 2016.)

Zur „Trompeterstraße“ siehe https://www.altstrassen-in-hessen.de/altstrassen/trompeterstrasse.php